Frechheit oder Geschenk?

Im Winter ist alleine Zugfahren manchmal eine Herausforderung für mich. Einerseits muss ich warm eingepackt werden, weil‘s draußen ja eiskalt ist. Andererseits wird im Zug so geheizt, dass ich dann fast zerfließe. Wenn ich nachhause fahre, ist das nicht so schwer, ich frage dann Leute im Zug, ob sie mir beim Ausziehen helfen, denn ich weiß, dass mich daheim am Bahnhof meine Eltern erwarten und wieder anziehen werden. Wenn ich aber nach Graz fahre, weiß ich, dass ich nach der Ankunft noch durch die ganze Stadt fahren muss und Anziehen ist etwas aufwändiger als ausziehen. So verzichte ich meistens darauf, Leute zu fragen und bleibe gleich in der Jacke. Diesmal ist es besonders kalt und ich also besonders warm eingepackt. Ich habe schon ein bisschen Angst vor der Fahrt und bete, Gott möge sich etwas einfallen lassen, dass ich die Wärme gut ertrage bzw. gut speichern kann, sodass sie mir danach in der Kälte wieder nützlich ist. Aber als ich dann am Rollstuhlstellplatz eingeparkt habe und ich es mir bequem mache, merke ich, dass mir komischerweise gar nicht heiß wird. Scheinbar hat Gott mein Gebet erhört. Ich denke nicht länger darüber nach und beginne zu lesen. Plötzlich höre ich, wie sich eine Frau schrecklich darüber aufregt, dass die Heizung im Zug nicht funktioniert und dass sie hier drinnen in der Winterjacke sitzen muss. So eine Frechheit! Ich muss schmunzeln. Soll ich ihr von meinem Gebet erzählen? Dazu fehlt mir dann doch der Mut. Aber wahrscheinlich wäre es gut gewesen. Denn in diesem Fall wäre sie wahrscheinlich froh darüber gewesen, dass sie sich immer alleine so an ziehen kann, wie es die Temperaturen gerade erfordern. Aber ich bin jedenfalls dankbar, dass Gott auch andere Wege findet. Wenn ich mich schon nicht den Temperaturen anpassen kann, passt er halt die Temperatur an meine Situation an. Danke!

Elfriede Demml (29), Pastoralassistentin im Pfarrverband Graz-Christkönig/Hl. Schutzengel, 29.1.2017

Erschienen in: Ausseerland Pfarrblatt, März/April 2017