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Beschenkt

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Heute bin ich nicht sonderlich gut darauf. Ohne ersichtlichen Grund macht sich in meinem Herzen Verbitterung breit. Nicht mal eine Stunde vor dem Allerheiligsten ändert das, obwohl ich mich echt bemühe. Auf dem Heimweg komme ich beim Bäcker vorbei und will mir ein Brot kaufen. Während mir die Verkäuferin das Brot eingepackt spricht mich ein älterer Mann, der neben mir steht, an: „Magst du gerne Krapfen?“ – „Ja, schon…“, antworte ich zögernd. „Mit oder ohne Zucker?“ „Mit natürlich!“, lache ich. – Der Mann zur Verkäuferin: „Pack ihr noch einen Krapfen mit Zucker ein, ach nimm gleich zwei!“ Überrascht bedanke ich mich und fahre nachhause. Als wäre das noch nicht genug, schenkt mir mein Nachbar ohne ersichtlichen Grund eine Packung Mon Chéri. „Gott, schickst du mir die ganzen Leute, um mich aufzuheitern?“ Bei einem Spaziergang mit einem Freund am selben Nachmittag erzähle ich ihm, was mir heute schon alles passiert ist. Er hört sich alles geduldig an und nach einer Weile bleibt er stehen, kramt in seinem Rucksack und holt ein kleines Büchlein mit der Aufschrift „Offenbarungen von göttlicher Liebe“ vom Lady Julian of Norwich aus seinem Rucksack heraus. „Damit du neben den ganzen Süßigkeiten auch noch geistliche Nahrung hast, habe ich dir dieses Geschenk mitgebracht“, ist seine lachende Antwort auf meine Geschichte. „Gott, du bist echt großartig. Wenn an manchen Tagen das eigentlich größte Geschenk deiner Liebe, die heiligste Eucharistie, nicht bis zu meinem Herzen durchdringt, gibst du nicht auf, mein Herz auf andere Weise zurückzuerobern. Danke!“


Elfriede Demml (34), Pastoralreferentin in Graz, 3.12.2021
Erschienen in
: Die Tagespost, ?.2021

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