top of page

Wandlung

​

Ich bin im Krankenhaus. Das Personal ist sehr lieb. Bis auf einen Abend. In unserem Zimmer sind wir schon fertig für die Nacht, es ist schon finster und wir sind kurz vorm Einschlafen. Plötzlich wird die Tür aufgerissen und zwei junge Pflegerinnen kommen lachend herein, schalten das Licht ein und kommen ohne eine weitere Erklärung auf mich zu und machen etwas bei meinem Verband, ziemlich stürmisch. Ich habe Angst, dass sie mir weh tun. So schnell wie sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg. Mein Herz pocht. Erstens habe ich mich voll erschrocken, zweitens finde ich es unmöglich, wie unsensibel die beiden hier herein gestürmt sind und mich behandelt haben. Wie soll ich mit denen bloß die Nacht überstehen? Mit denen will ich sicher nicht zur Toilette gehen. Die sind mir für meine derzeitige Lage zu stürmisch. Zorn steigt in mir auf. Da fällt mir ein Wort aus der Bibel ein: "Segnet sie, verflucht sie nicht." – "Gott, ich würde diese beiden sicherlich Energy Drink gesteuerten Mädels am liebsten zum Mond schießen. Aber du willst, dass ich sie segne. So bitte ich dich, segne sie. Hilf ihnen, dich zu erkennen. Und hilf ihnen, würdevoll mit ihren Patienten umzugehen. Aber nur dass du es weißt, ich sage das nur, weil du es willst. Ich würde sie gerne zum Mond schießen."

Dann schlafe ich ein. Plötzlich geht wieder die Tür auf, ganz vorsichtig. Es wird kein Licht eingeschaltet. Jemand schleicht sich zu meinem Bett und flüstert mir etwas zu. Ich antworte schlaftrunken und erst dann erkenne ich, dass es eine der beiden Pflegerinnen von vorhin ist. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, denn plötzlich scheint sie einen ganz anderen Charakter zu haben. Nein, ich habe mich nicht getäuscht. Sie ist es und verlässt auf Zehenspitzen gerade wieder das Krankenzimmer. Gott, du bist echt krass, wie schnell du diese segnende Wandlung vollzogen hast. An ihr und an mir.


Elfriede Demml (33), Pastoralassistentin in Graz, 30. August 2020
Erschienen in
: Die Tagespost, 1.10.2020

bottom of page