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Beschenkt sein als Lebensstil


Impulsreihe von
Pastoralreferentin Elfriede Demml/Frühjahr 2021

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Teil 1. Eine neue Art zu empfangen

Mädchen staunt über Blumenwiese -Bild von Jill Wellington auf Pixabay

Warum mir dieses Thema wichtig ist
 

In letzter Zeit habe ich ein paar Beobachtungen gemacht die mir wieder neu gezeigt haben, wie wichtig eine Haltung des Beschenktseins für unser Leben ist. Ich erzähle ein paar kleine Beispiele:

  • Eine Mama bekommt von ihrem Kind ein imaginäres Geschenk im Spiel über-reicht. "Oh, warum bekomme ich denn ein Geschenk? Ich habe doch gar nicht Geburtstag!" ruft sie aus. Das Kind überlegt kurz. "Du bekommst ein Geschenk, weil du brav warst."

  • Eine junge Frau fragt ihren Tischnachbarn, ob er ihr eine Semmel reichen könne. "Was bekomme ich dafür?" fragt er scherzend.

  • Eine Freundin fragt mich, wann ich endlich ein paar alte Möbelstücke weg schmeiße und gegen neue zum Raum passende vom Ikea eintausche. Sie hat kein Verständnis dafür, dass ich mit diesen Möbelstücken eine Geschichte verbinde und dass sie mir wertvoll sind, auch wenn sie nicht perfekt dazu passen.

Ihr merkt schon, unser ganzer Alltag ist durchdrungen von Geben und Nehmen.


Der Geber gibt sich in der Gabe
 

Schauen wir uns die Beispiele genauer an und kehren wir gleich noch mal zurück zu meinen Möbelstücken. Ich habe sie von Menschen bekommen, die mir wichtig sind. Deshalb sind mir auch diese Möbelstücke wichtig. Irgendwie ist in ihnen die Geschichte, die mich mit diesen Menschen verbindet gegenwärtig. Noch deutlicher wird das bei einem Ehering. Mit dem Ring, den sich die Partner gegenseitig schenken drücken sie aus, dass sie sich selbst dem anderen schenken wollen. Der Ehering ist nicht aufgrund seines Materials wertvoll, sondern aufgrund des Gebers. Wir können sagen: Der Geber gibt sich in der Gabe selbst mit.


Wenn sich aber der Geber in der Gabe selbst mitschenkt, ist es ganz entscheidend, wie der Empfänger oder die Empfängerin reagiert. Nur wenn er oder sie das Geschenk wirklich annimmt, kann der Geber zum Geber werden und sich ganz schenken.

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Nehmen wir dafür ein anderes Beispiel:

Du bist bei einem Freund eingeladen und willst ihm etwas mitbringen. Stellen wir uns dafür verschiedene Szenarien vor:
 

Situation 1. Du weißt ganz genau, dass dein Freund eine gewisse Weinsorte besonders liebt. Deshalb kaufst du genau diesen Wein und bringst ihn mit.

  • Reaktion A kann sein: Der Freund denkt sich: "Na toll, die hundertste Flasche Wein, hätte ihm auch was Besseres einfallen können", und stellt den Wein achtlos in die Ecke. Dein Freund hat nicht gecheckt, dass du ihn wirklich ernsthaft beschenken wolltest.

  • Reaktion B kann sein: "Oh, Danke! Man merkt, dass wir schon lange befreundet sind und du weißt, was ich gerne habe." Dein Freund hat das Geschenk und mit dem Geschenk dich als Freund angenommen.

 

Situation 2. Du bist spät dran und in letzter Sekunde fällt dir ein, dass du noch kein Geschenk für deinen Freund hast. Du schnappst einfach die nächstbeste Flasche Wein aus deinem Weinlager und übergibst sie routinemäßig deinem Freund, denn das gehört sich ja immerhin, dass man was mitbringt, wenn man wo eingeladen ist.

  • Reaktion A kann sein: Der Freund nimmt wieder wie oben die Flasche, denkt sich wieder "Na toll, die hundertste Flasche Wein" und stellt sie achtlos in die Ecke.

  • Er könnte aber auch ganz anders reagieren. Reaktion B könnte sein: der Freund nimmt die Flasche freudig in Empfang und sagt: "Ma, weißt du noch, genauso einen Wein haben wir damals getrunken, als wir uns kennengelernt haben und uns bis tief in die Nacht unterhalten haben."

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Obwohl du hier als Geber gar nicht aus tiefstem Herzen diesen Wein hergeschenkt hast, macht dich der Freund, indem er das Geschenk herzlich empfängt zu einem richtigen Geber. Das wiederum wird nun auch dich mit Freude erfüllen.

Ich will euch jetzt nicht dazu animieren, wenn ihr das nächste Mal ein Geschenk bekommt, zu lügen oder einfach nur zu schmeicheln. Aber ich will mit diesem Beispiel sagen, dass wir je nachdem, wie wir ein Geschenk empfangen, zulassen, dass der andere sich mit diesem Geschenk wirklich uns schenken kann oder eben nicht.


Ein Geschenk ist gratis


Kannst du es zulassen, dass man dich beschenkt? Oder gehörst du zu den Menschen, die sich, wenn sie ein Geschenk bekommen sofort den Kopf zerbrechen, wie sie da eine adäquate Gegenleistung bringen können? Dann kann ich dir sagen: das Wesen eines Geschenkes ist, dass es gratis ist. Man muss es sich nicht verdienen. Das hätte ich damals am liebsten dem Mann am Tisch zugerufen, als er die junge Frau gefragt hat, was sie ihm für die Semmel gibt. Und auch der Mama und dem Kind hätte ich es am liebsten gesagt. Leider habe ich mich nicht getraut. Heute will ich das gut machen und jetzt wenigstens euch verkünden: Ein Geschenk ist gratis. Du darfst es voll Freude annehmen, ohne Gegenleistung.
 

Elfriede Demml, Frühjahr 2021

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