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Gold, blond und schnell

 

Auf dem Weg zu meiner Therapie in Norddeutschland mache ich jedes Jahr einen Zwischenstopp in München. Aus meinen bisherigen Erfahrungen weiß ich, dass die Aufzüge bei den Öffis in München sehr oft kaputt sind und ich schon oft vor abenteuerlichen Herausforderungen gestanden bin. Doch diesmal funktionieren alle Lifte, die wir vom Hauptbahnhof bis zu unserer Unterkunft im Salesianum brauchen. Nicht nur meine Assistentin und ich sind erleichtert und ein bisschen erstaunt darüber, sondern auch eine Familie, die mit Kinderwagen unterwegs ist, ist ganz erstaunt, dass ein gewisser Aufzug heute funktioniert, weil er wohl in letzter Zeit nie funktioniert hat.

Ein bisschen aufgeregter sind wir am nächsten Morgen, denn heute müssen wir ja pünktlich unseren Zug für unsere Weiterreise in den Norden erreichen. Lieber würden wir mit Bussen fahren, denn da sind wir nicht von Aufzügen abhängig, aber da wir keine Linie finden, die uns zum Hauptbahnhof bringt, uns niemand eine empfehlen kann und wir uns auch nicht so gut auskennen, entscheiden wir uns doch für die Strecke mit der unterirdischen S-Bahn. Immerhin haben gestern Abend alle Aufzüge funktioniert. Dann werden sie wohl heute auch noch funktionieren. So machen wir uns auf den Weg. Und tatsächlich, sie funktionieren alle, bis wir den Hauptbahnhof erreicht haben. Vor dem allerletzten Aufzug, der uns nun wirklich zu den Bahnsteigen bringen soll, steht eine Rollstuhlfahrerin mit genau dem gleichen E-Rolli, wie ich ihn habe. Nur dass das, was bei mir orange ist, bei ihr golden glitzert. Noch ahne ich nicht, wie passend und engelshaft das ist. Ich denke mir nur, gut, dass wir pünktlich dran sind, also ist es kein Problem, wenn sie vor uns noch den Aufzug verwendet. Doch dann merke ich, dass sie sich vom Aufzug abwendet und dann sehe auch ich, dass der Aufzug außer Betrieb ist. "Was machen wir jetzt?", frage ich das blonde Mädchen in weißem Shirt ratlos. "Gibt es einen anderen Weg?" - "Na klar! Komm mit!", und schon düst sie los. Was sie nicht gemerkt hat ist, dass ich nicht alleine unterwegs bin. So versuche ich, unseren Engel, der uns den Weg weist, so durch die Menschenmenge zu folgen, dass ich ihn nicht aus dem Blick verliere, und gleichzeitig werfe ich immer wieder einen Blick über die Schulter, um zu sehen ob mein Engel, meine Assistentin, die mit zwei Koffern versucht, uns nachzukommen, eh noch da ist. Irgendwann rufe ich dem Mädchen in ihrem goldenen Flitzer zu. "Wir können nicht so schnell, meine Assistentin muss auch noch hinterher kommen." - "Ach so", meint sie und bremst ab. Es scheint wie ein unterirdisches Labyrinth mit endlosen Gängen zu sein, durch das uns unser Engel leitet, bis wir schließlich tatsächlich bei einem Aufzug ankommen, der funktioniert. Niemals hätten wir alleine diesen Aufzug entdeckt. Oben im Tageslicht angekommen erklärt uns das Mädchen noch, wie wir nun zurück zum Bahnhof gelangen und dann verschwindet sie so plötzlich, wie sie aufgetaucht ist. Und mal wieder muss ich staunen, dass Gott seine Engel immer zur rechten Zeit an den rechten Ort stellt.

 

Elfriede Demml, Pastoralreferentin in Graz, 22. August 2022

Erschienen in: Pfarrblatt steirisches Salzkammergut, November/Dezember 2022

Elfriede Demml, Pastoralreferentin in Graz, 4. Juni 2022

Erschienen in: Die Tagespost, 23.6.2022

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