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Nicht am Leid vorbei

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Über Leid zu schreiben, ist eine sehr riskante Angelegenheit. Wenn ich mich in der Welt umschaue –  nein, eigentlich brauche ich nur auf das hören, was mir im Bekannten- und Freundeskreis erzählt wird, dann kommt mir meine Behinderung und die Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze und auf Hilfe angewiesen bin, wie ein Klacks vor und in mir steigt bei dem Gedanken Unbehagen auf, dass ich über Leid schreiben soll. Mir kommt vor, egal was ich schreiben werde, man wird mir zurecht vorwerfen können: „Was hat sie denn schon für eine Ahnung?“ Und doch habe ich nun mal versprochen, diesen Artikel zu schreiben und so werde ich mich vorsichtig, aber doch entschlossen auf das Glatteis wagen.

 

Menschen streben danach, Leid zu meiden. Sämtliche Weltanschauungen und Religionen befassen sich damit, wie man dem Leid irgendwie entkommen kann. Verschiedene Trainingsprogramme versprechen uns Großes, wenn wir uns nur diszipliniert daran halten. Doch es gibt einen, der erkannt hat, dass wir uns nicht selber aus dem Sumpf ziehen können. Es ist einer, der nicht oben auf seinem Thron wartet bis wir mühevoll die Treppen zu seiner Herrlichkeit emporgekrochen sind, sondern einer, der uns entgegeneilt mitten in den Dreck und das Leid dieser Welt.

Er war Gott gleich,

hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,

sondern er entäußerte sich und

wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.

Sein Leben war das eines Menschen;

er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod,

bis zum Tod am Kreuz. (Philipper 2,6-8)

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Meine Seele ist zu Tode betrübt. Jesus war nicht nur mit einem weißen Kittel sozusagen auf Kurzvisite um zu sehen, wie es uns Menschenkindern geht. Nein, er hat alles durchgemacht. Jesus hatte Todesangst. Und er macht kein Geheimnis daraus, wenn er erst zu seinen vertrautesten Freunden sagt: „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!“ und dann zum Vater fleht: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Matthäus 26,38f) Es ist also legitim, über Leid zu klagen und Wege zu suchen, es zu lindern. Die Frage ist nur wie?

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Steck dein Schwert in die Scheide. Die nur allzu gut verständliche Reaktion von Petrus ist es, dem Übeltäter, der Jesus gefangen nehmen will, das Ohr abzuschlagen. Wir befinden uns also in bester Gesellschaft, wenn wir gegen Leid mit Zorn und Aggression rebellieren. Dauerhaft zielführend ist dieser Weg allerdings nicht und wir tun gut daran, der Anweisung Jesu an Petrus Folge zu leisten: „Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52). Na super, heißt das wir sollen die Hände in den Schoß legen und tatenlos zusehen, wenn wir oder unsere Freunde schreckliches Leid und Unrecht erfahren?

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Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich? (Johannes 18,23) Jesus bringt klar das Unrecht, das ihm widerfährt, zur Sprache. Wir müssen nicht alles einfach duckmäuserisch über uns ergehen lassen. Trotzdem wird er gekreuzigt und trotzdem wird auch unser Leid oft nicht weggenommen. „Warum?!“, wollen wir rufen.

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Mich dürstet (Johannes 19,28). Mich berührt immer wieder der Durst Jesu am Kreuz. Klar, man kann es als etwas sehr Natürliches und Menschliches anschauen. Die Strapazen der Geißelung, das schwere Kreuz, der steinige Weg, die glühende Mittagshitze. Jesus hat Durst. Aber ich glaube, hinter diesem Durst steckt noch viel mehr. Jesus dürstet nach uns. Er hat Sehnsucht nach unserer Liebe, in der allein er unseren Lebensdurst in allen Herausforderungen unseres Alltags stillen kann.

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Fürchtet euch nicht! Nach seiner Auferstehung hat Jesus bestimmt noch sehr eindrücklich vor Augen, wie schrecklich es ist, Todesängste auszustehen und so ist sein erstes Wort an die Frauen: „Fürchtet euch nicht!“ (Matthäus 28,10) Diese Zusage gilt auch uns. Fürchtet euch nicht. Ich habe den Tod besiegt. Aber ich bin auch ein Gott, der an seinen Wunden erkannt wird (Thomas). Das Wägelchen bleibt, aber Jesus sitzt mit im Wägelchen, hat ein weiser alter Mann mal zu mir gesagt. Und Jesus bekräftigt dies, wenn das Matthäusevangelium mit dem Versprechen endet: „Und ich versichere euch, ich bin immer bei euch, bis ans Ende der Zeit.“
 

Elfriede Demml (30), Pastoralassistentin im Pfarrverband Graz-Christkönig/Hl. Schutzengel, 4.2.2018

Erschienen in: Ausseerland Pfarrblatt, März/April 2018

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