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Pilgern

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Unterwegs mit Freundinnen auf einem Stück des österreichischen Jakobswegs:

Strömender Regen bei der Ankunft in der ersten Unterkunft. Der Wirt gibt uns mit wenig Emotionen oder gar Mitleid bekannt, dass er nur zwei Betten hat für uns, obwohl wir ganz sicher vier Betten reserviert haben. Eine Freundin meint: „Das muss so sein beim Pilgern, das wäre sonst nicht echt!“ So legen wir uns zu dritt in ein Doppelbett und die vierte richtet sich eine notdürftige Schlafstelle am Boden ein. Den Wirt schließen wir in unser Nachtgebet ein und beschließen heimlich, dass wir ihn morgen „knacken“ wollen. Und siehe da, am nächsten Tag beim Frühstück ist er plötzlich gesprächig, entschuldigt sich sogar und erzählt uns, dass ein Verwandter von ihm Diakon sei.

Die kommenden Tage verlaufen reibungslos. Schönes Wetter, immer wieder Zeiten des Gebetes und des Lobpreises, wenn uns am Wegrand ein Marterl oder ein Kreuz unterkommen. Die Gitarre ist hinten auf meinen Rollstuhl draufgeschnallt und schnell zur Stelle, wenn es nötig ist. Zeiten des intensiven freundschaftlichen Gesprächs und Zeiten des Schweigens und Alleinseins mit dem Herrn.

Wenn die Mittagszeit naht, beten wir immer einen Rosenkranz für die Menschen, die uns heute aufnehmen werden. Denn wir brauchen jeden Tag einen Ort, an dem wir den Strom meines Rollstuhls nachladen können. Immer wieder sind wir überwältigt, von der Gastfreundschaft der Menschen. Wir dürfen in ihrem Garten sitzen, unsere Brotzeit essen, werden versorgt mit Köstlichkeiten aus dem Garten, mit Trinken und eben mit Strom für den Rollstuhl. Wir haben nicht das Gefühl, den Menschen, die wir so unangekündigt „überfallen“ zur Last zu fallen. Ganz im Gegenteil, sie freuen sich wirklich über unser Dasein. Einmal werden wir sogar mit den Heiligen Drei Königen verglichen, als wir als Dankeschön ein Segenslied singen. Als wir eines Tages eine Bäuerin fragen, wo das nächste Geschäft sei, indem wir Brot kaufen können, meint sie, das sei noch eine ganze Weile hin. Sie würde uns aber sehr gerne einen Laib Brot von sich schenken. Schon wieder dürfen wir die liebevolle Vorsehung Gottes und seines „Bodenpersonals“ genießen und darüber staunen.

Grundsätzlich freuen wir uns über jeden Baum, der am Wegrand steht und uns Schatten spendet. Doch plötzlich müssen wir durch ein steiles Waldstück. Werden wir es schaffen mit dem Rollstuhl? Die anderen Mädels laufen runter, messen den Abstand des schmalen Weges und dann wieder die Breite meines Rollstuhls. Es müsste klappen. Aber es ist wirklich steil und viele Wurzeln ragen aus dem Boden heraus. Ganz langsam machen wir uns auf den Weg. Immer ein kleines Stück fahren, gehalten auf allen Seiten von meinen Freundinnen. Dann wieder stehen bleiben, schauen wo wir am besten weiterfahren können. Ziemlich abenteuerlich, aber ich liebe es! Und dann kommt die schmale Stelle, auch wieder mit besonders vielen Wurzeln. Doch wie von Engels Hand getragen gleite ich darüber, als wäre es ein Klacks. Halleluja!

Am letzten Tag unserer Pilgerreise regnet es. Schon in den Tagen davor haben wir uns gefragt, wie wir unsere Mittagspause verbringen werden, wenn es mal regnet. Eine Freundin beginnt schon vorsorglich, den Rosenkranz zu beten. Die nächste meint, heute sollen wir vielleicht früher schon anfangen, nach einem Platz zu suchen, wo wir Mittagspause machen können. Es könnte schwierig werden. Die dritte: „Da hinten auf dem Pfarrhof war eine Muschel. Die mögen bestimmt Pilger. Wir kehren um. In dem Augenblick verlässt ein Mann das Pfarrhaus: „Sind Sie der Pfarrer?“ – „Ja, aber wie jeder Pfarrer habe ich wenig Zeit und muss gleich wegfahren. Was braucht ihr denn?“ Schnell versteht er die Lage und sperrt uns den Pfarrsaal auf. Wohltuende Wärme strömt uns entgegen. Der Pfarrer stellt uns noch einige Getränke hin und wünscht uns eine gute Pause. Im Backofen können wir sogar unsere alte mitgebrachte Pizza noch einmal aufwärmen. Eine Freundin fast dieses Wunder so zusammen: „Wir haben gebetet und geschaut und dann hatten wir plötzlich alles, was wir brauchen.“


Elfriede Demml (30), Pastoralassistentin in Graz-Christkönig/Hl. Schutzengel, 29. August 2017

Erschienen in: Die Tagespost, 30.9.2017

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