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Ich weiß, was du brauchst
 

Ich bin gerade auf dem Weg von der Arbeit nachhause und habe einen großen Durst. Ich frage eine junge Frau in der Straßenbahn, ob sie mir aus meinem Becher zu trinken geben kann. Das will sie gerne, aber der Becher ist leer. Okay, Pech gehabt. Ich mache mich auf den Weg in die Stadtpfarrkirche zur Abendmesse. Da fällt mir auf, dass es im Innenhof einen Trinkbrunnen gibt. Super, jetzt brauche ich nur noch jemanden, der mir Wasser in meinen Becher füllt. Ich bitte Gott, mir zu zeigen, welchen Engel er heute Abend für mich ausgesucht hat und fahre wieder auf die Straße. Viele Menschen gehen hektisch an mir vorbei. Doch dann sehe ich eine Dame mittleren Alters, die mir richtig erscheint. Ich frage sie, ob sie mir helfen könnte, meinen Wasserbecher aufzufüllen und mir was zu trinken geben könnte. Erst sieht sie mich verwirrt an und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich verstanden hat. Doch dann folgt sie mir doch zögernd in den Innenhof. Als sie dann den Trinkbrunnen sieht und meinen Becher im Rucksack entdeckt ist alles zögern vorbei und sie füllt mit großer Freude meinen Becher auf, gibt mir zu trinken und füllt ihn sicherheitshalber gleich noch einmal auf, damit ich später auch noch etwas habe. Mir fällt wieder der Spruch eines guten Freundes ein: „Man muss den Menschen helfen, Gutes zu tun.“ Wir verabschieden uns wieder, wünschen uns einen schönen Abend und unsere Wege trennen sich.

In der Kirche ist heute meine übliche Sitznachbarin nicht da. So sitze ich alleine und schlage die Lieder im Gotteslob meist mit etwas Verspätung auf. Aber die meisten kenne ich eh und dann gebe ich mir gleich gar keine Mühe mehr, singe einfach mit was ich kann. Plötzlich steht der Mesner, der im Altarraum neben dem Priester sitzt auf, verschwindet in der Sakristei und kommt von hinten in die Kirche. Er setzt sich neben die Frau in der Reihe vor mir, beugt sich zu ihr und flüstert ihr etwas zu. Dabei gestikuliert er in meine Richtung. Dann steht er wieder auf und geht auf dem gleichen Weg zurück zum Altar. Als das nächste Lied angezeigt wird, kommt die Frau zu mir und schlägt mein Gotteslob auf. Danke! Ich grinse rauf zum Altar und wundere mich, wie umfassend der Mesner seine Arbeit wahrnimmt.

Also Gott, wenn du so kleine Bedürfnisse schon ernst nimmst und darauf achtest, dass es mir gut geht, dann brauche ich mich um die großen Dinge des Lebens wahrhaftig nicht zu sorgen!
 

Elfriede Demml (28), Pastoralassistentin in Graz-Christkönig/Hl. Schutzengel, November 2015

Erschienen in: Ausseerland Pfarrblatt, Dezember 2015


 

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