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Einander (er-)tragen

 

Ohne zu überlegen, wie ich über die vielen Treppen kommen soll, trage ich mich in die Liste ein…

In der Stiegenkirche gibt es mal wieder ein 48 Stunden Gebet. Mir fällt die Liste in die Hände, in die sich jeder eintragen soll, der Zeit hat eine Stunde zu übernehmen und in dieser Stunde vor dem eucharistischen Herrn zu verweilen. Von 16:00 bis 17:00 Uhr ist noch eine Stunde frei. „Da habe ich Zeit“, denke ich mir und trage mich einfach ein. Ich mache mir keine Gedanken darüber, wie ich denn über die vielen Treppen kommen soll. Das einzige, was mir Gedanken macht, ist, dass ich um 17:00 Uhr eigentlich ein „Klo Date“ mit meiner Assistentin vereinbart habe. Ich darf nicht vergessen, es zu verschieben oder im Notfall abzusagen. Was bedeutet schon ein Klo Date im Vergleich zu einem Date mit dem Herrn?

Inzwischen ist Freitagnachmittag. Gerade noch rechtzeitig habe ich es geschafft, meine Assistentin zu erwischen und ihr klarzumachen, dass ich leider heute nicht um 17:00 Uhr mit ihr aufs Klo gehen kann, weil ich nämlich Gebetsdienst habe. „Aha…“ Ja, ich muss zugeben, für jemanden, der nicht so ganz in der „Szene“ ist, muss das schon merkwürdig klingen. Aber egal. Nun ist es eher wichtig, meine Augen offen zu halten, um zu sehen, welche Engel der Herr mir bereitet hat, um mich hochzutragen. Ich fahre also durch die Straßen Richtung Stiegenkirche. „Herr, du musst mir schon zeigen, welchen Engel du für mich ausgesucht hast!“ Ich komme bei der Stiegenkirche an und halte Ausschau nach einem geschützten Ort, an dem ich meinen Elektrorollstuhl sicher abstellen kann. Ich fahre also in einen kleinen Innenhof und, oh Wunder, in dem Moment kommen ein vornehm aussehender Mann und eine ältere Dame über Treppen herunter in den Innenhof. „Brauchen Sie Hilfe?“ – „Ja, ehrlich gesagt brauche ich sogar richtig viel Hilfe. Sind Sie stark? Ich müsste nämlich in die Stiegenkirche!“ Der Mann sieht mich verdutzt an. „Die ist aber da oben!“ – „Ja, ich weiß“, gebe ich verlegen zu. Der Mann nimmt mich also Huckepack und die ältere Frau sowie eine weitere Frau die das Schauspiel beobachtet hat und herbeigeeilt kommt begleiten uns, eine links eine rechts. So überquert die kleine Karawane eine kleine steile Straße in der Innenstadt, um dann Stufe um Stufe (zwei Stockwerke!) zu erklimmen. Schwer schnaufend setzt mich der Mann vor dem Herrn ab. „Vielen herzlichen Dank! Dafür werde ich jetzt für Sie beten!“ – „Das ist lieb. – Und wie kommen Sie wieder runter?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Es wird wieder jemand kommen.“

So verlassen mich meine drei Engel und ich bin mit dem Herrn allein. Kurz überkommt mich ein schlechtes Gewissen, dass ich jemanden so etwas antue, nur damit ich eine Gebetsstunde übernehmen kann. Aber dann denke ich mir, dieser Mann sah nicht so aus, als könnte er viel mit eucharistischer Anbetung anfangen, aber mich hin tragen konnte er. So war es seine Art, dem Herrn zu dienen. Ich verbringe die nächste Stunde damit, für meine drei Engel zu beten und auch für den, der hoffentlich nach dieser Stunde kommen wird. Und tatsächlich, es kommt einer – und er sieht stark aus. „Kannst du mich bitte runter tragen?“ – „Ja, warte ein bisschen, ich bin mit dem Fahrrad gekommen. Ich muss noch ein bisschen ausschwitzen.“ Ich lache: „Du wirst gleich noch viel mehr schwitzen!“ So machen wir uns wieder auf den Weg hinunter.

Auf dem Heimweg fällt mir ein Satz meiner Freundin ein, der mir einmal sehr viel Trost gespendet hat: „Elfriede, wir müssen alle einander in irgendeiner Weise er-tragen und du musst eben im wahrsten Sinne des Wortes ge-tragen werden.“ Danke an alle, die mich tragen und er-tragen!

 

Elfriede Demml (27) Pastoralpraktikantin im Pfarrverband Graz Liebenau, Dezember 2014

 

Erschienen in: Pfarrblatt Wir3 in Liebenau, Februar-Mai 2015


 

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