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Wachsen lassen 
in der Spannung von Sturheit und Geduld


Ob Kinder, Pflanzen oder unser Innenleben, alles ist auf Wachstum ausgerichtet. Pastoralreferentin Elfriede Demml teilt mit uns ihre Beobachtungen dazu.

Heilige Sturheit und geduldiges Warten
Ich bin zu Besuch bei meiner Schwester und ihrer Familie. Meine Schwester hilft der kleinen eineinhalbjährigen Emma gerade beim Händewaschen und nimmt dann das Handtuch und will ihr die Hände abtrocknen. Emma kann sich zwar noch nicht mit Worten artikulieren, aber sie gibt mit ihren Gesten und ihrem Protest eindeutig zu verstehen: Die Mama soll das Handtuch wieder hinhängen, sie will es selber nehmen und sich selber die Hände abtrocknen. 
Sie will wachsen und selbstständig werden und scheinbar brauchen wir dafür diese "heilige Sturheit”, mit der wir uns dafür einsetzen. 
Ein paar Tage später, als ich meine Bibel aufschlage, lese ich in Markus Kapitel 4,26-29 das Gleichnis vom Wachsen der Saat. Hier erzählt Jesus von einem Mann, der Samen auf seinen Acker sät und dann schlafen geht. Es wird Nacht und es wird Tag und der Same keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie das geschieht. Er muss nur geduldig warten. 
Willen und Sturheit oder geduldiges Warten? Was scheinbar nach einem Widerspruch klingt, führt uns, glaube ich, hin zum Geheimnis von Wachstum und Reife. Wer innerlich wachsen und reifen will, muss sich einlassen auf den Rhythmus von Willenskraft und Warten, von Sturheit und Geduld. 

Mögliche Schritte auf dem Weg zu innerem/emotionalen Wachstum:
1.    Ich entscheide mich bewusst dafür, dass ich in einem Bereich meines Lebens wachsen möchte. 
2.    Ich höre auf mein Innerstes und bin bereit hinzuschauen, was sich da tut. 
Wenn irgendwelche Emotionen in mir hochkommen, verdränge ich sie nicht, sondern ich schaue, wo sie herkommen, was ihre Wurzel ist. Oft liegt diese Wurzel weit zurück in meiner Geschichte. Ich schaue es liebevoll an, nehme es ernst, lege es Gott hin und bitte ihn, mir Wege zum Heil zu zeigen. 
3.    Ich gehe den Weg nicht alleine. 
Ich suche mir vertraute Begleiter:innen auf dem Weg, je nach Bereich können das Freund:innen, Familie, geistliche Begleiter:innen oder auch Psychotherapeut:innen sein.
4.    Ich bete um Mut. 
5.    Ich verlasse meine Komfortzone und probiere mutig Neues aus. 
6.    Ich finde meinen Rhythmus von Aktion und Kontemplation, von Arbeit und Ruhe. 
Die jüdisch-christliche Tradition schenkt uns das Gebot der Sabbat/Sonntags-Ruhe. Die Schöpfungserzählung überliefert uns, dass Gott am 7 Tag geruht hat. Als seine Ebenbilder, dürfen wir das auch. Ja, es drückt sogar unsere Gottesebenbildlichkeit aus, wenn wir dieses Geschenk annehmen - wenn wir immer wieder innehalten, ruhen, genießen, was uns geschenkt ist, oder was uns gelungen ist, und wenn wir einfach Gott für unser Leben und alles, was er uns schenkt, danken.
7.    Ich verwurzle mich in Christus und vertraue auf sein Wort: 
Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.” (Johannes 15,5)

Zutrauen
Ich bin auf einem Bahnhof, den ich nicht kenne und finde den Lift nicht. Die Leute, die ich frage, verstehen mich entweder nicht, haben keine Zeit, wissen es nicht, oder gehen einfach achtlos an mir vorüber. Da sehe ich hinten in der Ecke eine Gruppe von jungen Burschen, diese typischen Jugendlichen, die auf jedem Bahnhof herumlungernd zu finden sind. Wenn sich jemand hier auskennt, dann sie, denke ich und fahre mit meinem Rollstuhl zu ihnen hin. Als ich ihnen mein Problem schildere, ist es mir, als würden sie aufblühen und als würde neues Leben in sie kommen. Voller Tatendrang begleiten sie mich wie Bodyguards zu meinem Bahnsteig. Es ist, als hätten sie nur auf diesen Auftrag gewartet. Vielleicht ist das auch noch ein Aspekt von wachsen lassen? Es muss mir jemand etwas zutrauen, damit ich wachsen kann. Und ich kann anderen zu ihrem Wachstum verhelfen, wenn ich ihnen etwas zutraue.

Warten an der roten Ampel
Vor dem Frauenfrühstück in Christkönig habe ich noch Brot bei der Bäckerei in der Nähe gekauft. Jetzt fahre ich zur Kreuzung, die Ampel ist grün, ich freue mich und will schon mit meinem Rolli über den Zebrastreifen fetzen. Da halte ich plötzlich inne. Nein, ich will ja gar nicht in diese Richtung! Ich wende mich auf die andere Seite. Hier ist die Ampel rot und ich muss warten. Und ich muss schmunzeln. Auch wenn die Ampel grün ist, ist es nicht immer gut, darüber zu gehen. Wenn es nicht die richtige Richtung ist, dann ist es besser, an der roten Ampel zu stehen, auch wenn ich dann warten muss. Das klingt banal. Aber ich glaube, auf unser Leben übertragen ist das eine wichtige Erkenntnis: Innehalten und fragen, was mein Ziel ist. Das Ziel kennen und mit einer “heiligen Sturheit” verfolgen, sich nicht ablenken lassen, auch wenn andere Wege leichter aussehen. Bereit sein, geduldig zu warten, bis etwas gewachsen ist und bis der Weg in die richtige Richtung frei ist. Und dann Schritte setzen, unserem Ziel entgegen - Richtung Wachstum und Reife, damit wir gute Früchte bringen, Früchte der Liebe, der Freude, des Friedens für uns und die Menschen um uns herum.

Elfriede Demml, Pastoralreferentin im Seelsorgeraum Graz-Südwest, bald vierfache Tante und Rollstuhlfahrerin, Mai 2025,

gekürzt erschienen in: Pfarrblatt Christkönig/Schutzengel 2025 Juni bis November

© 2015 Elfriede Demml - Mit Gott im Alltag

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