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Von Engeln begleitet

 

Ich glaube, der Halbschlaf ist bei mir ein besonderes Einfallstor für den Heiligen Geist. Unter anderem war der Titel meiner Diplomarbeit wie ein Gedankenblitz im Halbschlaf plötzlich da. Aber diesmal geht es um etwas anderes. Ich blinzle mit den Augen. Draußen wird es schon hell. Aber ich bin noch ganz verträumt. Doch plötzlich ist mir klar, heute ist der perfekte Tag, um meine Freundin in der nächsten Stadt im Krankenhaus zu besuchen. Bevor ich mich einige Stunden später auf den Weg mache, rufe ich sie doch noch an. Eine Überraschung wäre zwar schön, aber es ist mir wichtig, dass sie weiß, dass ich alleine unterwegs bin und dass sie eine Suche veranlasst, falls ich nicht in spätestens 2 Stunden bei ihr auftauche.

Am Bahnhof treffe ich ein Pärchen, das sich gerade mit dem Fahrkartenautomat herum plagt. Nachdem ich merke, dass sie das gleiche Ziel haben wie ich, biete ich ihnen an, dass ich eine Begleitperson gratis mitnehmen darf. Der Mann verrät mir vor dem einsteigen noch seinen Namen. Man muss schließlich wissen wie seine Begleitperson heißt. :-) Kurz vor dem Aussteigen fragt er mich, wo ich denn weiter hin müsse. Es ist seine Richtung. Er verabschiedet sich noch von seiner Freundin und zeigt mir dann den Weg – den ich übrigens nicht so genau gewusst hätte. Plötzlich beginnt es zu schütten. Nun muss sich mein Begleiter seine Freifahrt tatsächlich schwer verdienen, denn er zieht mir mühevoll meine Regenjacke an. Bei der Klinik angekommen lässt er es sich nicht nehmen, mich auch noch zur richtigen Station zu begleiten. So irren wir gemeinsam durch endlos scheinende Gänge. Endlich am Ziel angekommen verabschiede ich mich dankbar von meinem Engel.

Meine Freundin erwartet mich schon freudig. Auch ein anderer Freund ist gerade zu Besuch. Wir verbringen einen schönen Nachmittag. Auf dem Heimweg begleitet mich unser Freund ein Stück des Weges. Dann fahre ich tatsächlich einmal ein paar 100 m alleine mit meinem Elektrorollstuhl über das Bahnhofsgelände zu meinem Bahnsteig. Im Zug – oh Wunder – spricht mich eine Frau an, die in meiner Nähe wohnt. „Sind Sie heute ganz allein unterwegs?“ Ich nickte und denke gleichzeitig: „Eigentlich war ich heute ziemlich wenig allein unterwegs.“ – „Soll ich Ihnen die Jacke ausziehen?“ – „Ja, gerne!“ Wir fahren los. Plötzlich tippt mich einer von hinten an. Ein afrikanischer junger Mann sagt mit strahlendem Gesicht: „I know you. I have seen you in this train before.“ So beginnen wir uns zu unterhalten und ich beschließe, dass er jetzt meine Engel ist. Als er ein paar Stationen vor meiner aussteigt, ruft wieder die Frau von der anderen Seite des Waggons: „Soll ich Ihnen die Jacke jetzt wieder anziehen?“ – „Ja, gerne!“ Auch Sie zieht ihren Regenmantel wieder an und bittet mich, ihn über ihren Rucksack zu ziehen. So machen wir uns gegenseitig regenfest. Als ich aus dem Zug aussteige, höre ich die Kirchenglocken. „Oh ja, jetzt noch in die Abendmesse. Das ist der krönende Abschluss des Tages.“ Ich flitze durch die Straßen und komme gerade noch rechtzeitig zur Gabenbereitung. Mit Brot und Wein lege ich dem Herrn den heutigen Tag, meine Freundin im Krankenhaus und alle meine Engel die mich begleitet haben, sodass ich sie ohne Hindernisse besuchen konnte, auf den Altar. Danke Gott!

 

Elfriede Demml (27), bald Pastoralpraktikantin im Pfarrverband Graz Liebenau, August 2014

 

Erschienen in: Die Tagespost, 04.04.2015

 

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