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Die Sonntagspflicht als Recht

 

Vor einiger Zeit war ich für einige Wochen auf Reha. Jeden Sonntag fragte ich einen Bekannten, der zufällig in der Nähe wohnte, ob er mit mir in die Messe gehen konnte. Das machte er auch ganz brav bis er eines Tages nicht konnte. Schon die ersten Christen wussten: „Sine dominico non possumus – ohne den Tag des Herrn können wir nicht leben.“. „Ja Herr, wenn du wirklich willst, dass ich am Sonntag in die Kirche gehe, dann musst du dir wohl was einfallen lassen.“ Ich telefoniere noch mit einigen potentiellen Messgängern – aber nichts. Mittlerweile ist es Samstagabend. Mal sehen was der nächste Tag so bringen wird.

 

„Guten Morgen, Elfriede.“ Ich öffne meine Augen. Und wer steht vor mir? Ausgerechnet die „katholische“ Schwester Waltraud. Sie würde meine verzwickte Lage verstehen. So schildere ich ihr meinen waghalsigen Plan, mich alleine mit meinem Elektrorollstuhl auf den Weg zur Kirche zu machen, die auf einem hohen Berg steht. Bis jetzt haben mir alle gesagt, dass das auf gar keinen Fall geht. Aber Schwester Waltraud teilt mit mir mein Gottvertrauen und so richtet sie mich schön her, steckt mir noch einen Opferkreuzer in die Jackentasche, speichert mir ihre Handynummer ein, damit ich sie im Notfall anrufen kann, verspricht mir, dass sie mich gemeinsam mit ihrem Mann am Abend in die Hl. Messe mitnehmen würde, falls der Plan nicht aufgeht und schickt mich auf den Weg. Beim Schwesternstützpunkt muss ich mich noch abmelden. Die Schwester fragt, was ich mache. „Ich gehe in die Messe.“ Mit empörter Stimme: „Aber nicht alleine?!“ „Doch!“ antworte ich mit einem Grinsen und fetze davon, bevor sie mich noch aufhalten kann. – Ich deute die Sonntagspflicht als Recht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, ihr nach zu gehen. – Aus dem Augenwinkel sehe ich noch wie sie mit Schwester Waltraud schimpft. Das tut mir leid, aber ich mache mich trotzdem schnellstmöglich aus dem Staub.

 

So, nun habe ich den hohen Berg vor mir. Oben steht die kleine Wallfahrtskirche im Sonnenlicht. Langsam beginne ich den Berg zu erklimmen. Ich fahre immer ein paar Meter und mache wieder ein bisschen Pause, damit nur ja mein Rolli nicht schlapp macht. Dabei summe ich unbewusst „Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott,
sei mit uns auf unsern Wegen…“ Nun habe ich schon fast den ganzen Berg geschafft. Aber das letzte Stück ist noch einmal so richtig steil. Ob das klappen wird? Doch siehe da, es kommen Wanderer aus dem Wald. „Könnten Sie bitte ein bisschen mitschieben?“ „Na klar.“ Und schon stehe ich auf dem Kirchplatz. Ich rufe noch Schwester Waltraud an und sage ihr, dass alles gut gegangen ist. Doch nun stehe ich vor der nächsten Herausforderung. Vor der Kirche sind einige Treppen. Ich stelle mich davor in die Sonne und warte auf einen Engel. Es dauert nicht lange und es kommt ein stark aussehender Mann aus dem Kirchenportal. „Entschuldigung, könnten Sie mir bitte rein helfen?“ „Ja, wie mache ich das?“ „Am besten Sie tragen mich wie eine Braut.“ Und ehe ich mich versehe sitze ich in einer Kirchenbank neben einem alten Ehepaar. Ich bedanke mich und der Mann geht weg. Doch plötzlich bleibt er stehen und kommt noch einmal zurück. „Beim Rausgehen müssen Sie jemand anderen fragen. Da werde ich nicht mehr da sein.“ Okay, das wird spannend. Aber vorerst freue ich mich darüber, die Hl. Messe mitfeiern zu können. Die Dame neben mir schlägt mir immer das Gotteslob auf und bei der Kommunion schickt sie mir den Pfarrer an den Platz. Nun wird es langsam Zeit nach einem weiteren Engel Ausschau zu halten, der mich wieder raus bringt. Schräg vor mir sitzt ein junges Pärchen, das wird mir bestimmt helfen. Als sie an mir vorbei gehen, sage ich zu dem jungen Mann: „Könntest du mich bitte mitnehmen?“ Seine Verwunderung ist kleiner als ich dachte. Er packt mich einfach und nimmt mich auf den Arm. „Du bist ja federleicht, du solltest mehr Knödel essen.“ Ich lache und antworte: „Dann kann ich aber solche Aktionen nicht mehr machen.“ „Stimmt auch wieder.“ Glücklich lande ich wieder in meinem Rollstuhl. Da entdecke ich ein anderes Mädchen im Rollstuhl, das ich schon von der Therapie kenne. Sie wurde von ihrer Mama den steilen Berg hochgeschoben. Gemeinsam machen wir uns nun wieder auf den Weg in die Klinik. Dort sind alle glücklich, dass ich wieder gut angekommen bin. Selbst die „schimpfende“ Schwester, an deren Hals ich eine Marienmedaille entdecke, zeigt Verständnis für mein Ausbüchsen und heißt mich wieder willkommen.
Was wär’ das Leben ohne Abenteuer? Was wär’ das Leben ohne Sonntag?

 

Elfriede Demml (26), hat eben ihr Studium in Benediktbeuern abgeschlossen,

16. April 2014
 

Erschienen in: Die Tagespost, 31.05.2014

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