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Eine Scheibe abschneiden

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"Vor ein paar Jahren war ich mal bei einer Hochzeit eingeladen und Freunde haben mich im Auto mitgenommen. Für meinen Geschmack war der Termin unserer Abfahrt viel zu früh angesetzt, aber ich war einfach nur froh, dass sie mich mitnahmen, deshalb hatte ich kein Problem damit, früh loszufahren. Unser Weg führte uns über geschlängelte steile Straßen und das Auto begann besorgniserregende Geräusche von sich zu geben bis es schlussendlich ganz zu stehen kam. Es dampfte aus dem offensichtlich überhitzten Motor. Alle von uns opferten dem Auto unsere wertvollen Wasservorräte, obwohl wir selbst an diesem heißen Sommertag sehr durstig waren. Aber nichts half. Der Motor heulte zwar immer mal kurz auf, kam aber dann doch wieder zum Erliegen. Wir riefen einen Freund an, der auch zur Hochzeit eingeladen war und warteten bis er kam und uns mit einem Seil abschleppte. Als sich nun unser kaputtes Auto gezogen durch das Auto des anderen Freundes langsam in Bewegung setzte, meinte unser Fahrer mit strahlendem Gesicht: "Kommt, lasst uns einen Rosenkranz beten als Dank, dass alles so gut geklappt hat. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen! Was war das für ein krasser Typ? Sein Auto ist gerade kaputtgegangen! Andere würden in so einer Situation fluchen. Und er will dafür danken, dass alles gut gegangen ist! Heimlich beschloss ich, mir eine Scheibe von diesem Lebensstil abzuschneiden und stimmte in den Dank-Rosenkranz ein.

Elfriede Demml (34), Pastoralreferentin in Graz, 25. April 2021 (erlebt am 15. August 2015 auf der Fahrt zur Hochzeit von Magdi und Wolfgang) 
Erschienen in: Die Tagespost
, 6.5.2021

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