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Ein Fall für Jesus

 

Als Pastoralpraktikantin höre ich oft in der Caritas Sprechstunde, dass Menschen nicht wissen, was sie morgen essen sollen, weil sie kein Geld haben, um sich etwas zu kaufen. Plötzlich verstehe ich ihre Lage. Mein Kühlschrank ist zwar halbwegs gefüllt und auch am Geld mangelt es nicht. Doch an diesem Wochenende ist keine meiner Assistentinnen da. Ich weiß also nicht, wer mir morgen etwas zu essen gibt, wer mit mir aufs Klo geht, wer mich ins Bett bringt, und wer mich am Sonntag wieder weckt. Meine Arbeitskollegin hat mich für Sonntagmittag zum Essen eingeladen. Das wäre also schon mal geklärt. Aber da stehen noch viele Fragezeichen im Dienstplan. Eigentlich wäre es jetzt höchste Zeit, in Panik zu verfallen und herum zu telefonieren. Aber ich habe aufgehört, mich über so etwas aufzuregen. Es ist mal wieder ein Fall für Jesus. Es war nicht meine Idee, fern von all meinen sozialen Netzwerken zu leben. Es war seine Idee. Also muss er sich auch um mich kümmern. So mache ich mich erstmal auf den Weg in die Messe. Es ist der Tag unserer lieben Frau von Jerusalem. Das kommt mir gerade recht. Eine Mutter weiß, dass ein Kind was zu essen braucht, dass es ins Bett gebracht werden muss, und dass es auch wieder herausgeholt werden muss. Als ich mit meinem Elektrorollstuhl an der Muttergottesstatue vorbei fahre, sage ich ihr das noch einmal sehr eindringlich.

Eine Frau, die sich mit der deutschen Sprache schwer tut, kommt regelmäßig zu mir zum Lernen. Nächste Woche hat sie eine Prüfung. Sie fragt, ob sie Montag oder Dienstag noch einmal vorbeikommen darf. Leider habe ich jeweils den ganzen Tag keine Zeit. „Aber (ein Grinsen geht über mein Gesicht) hast du Samstagabend Zeit? Ich könnte mit dir lernen und dafür bringst du mich hinterher ins Bett.“ - „Oh ja, das ist ein Ko … Kom… (Sie tut sich schwer Wort auszusprechen) Kompliment für mich!“ Im Himmel wird also mein Fall bearbeitet.

Bei den Nachbarn brennt Licht. Ich fahre hinüber. Bekreuzigte mich noch einmal, denn das was ich vorhabe ist schon ziemlich frech. Dann klingle ich. Der Mann kommt raus. „Ich habe mal wieder eine ziemlich freche Bitte. Darf ich mich für morgen Mittag zum Essen einladen? Es ist nämlich keiner da, der für mich kochen könnte.“ -„Ja, das können wir schon machen.“ - „Und ist deine Frau auch da, dass sie dann mit mir aufs Klo gehen kann?“ - „Ja, die ist da.“ Am nächsten Tag bekomme ich eine Lasagne serviert.

Inzwischen ist es Sonntagabend. Und es geht mir gut. Der Herr stellt mein Vertrauen zwar manchmal ziemlich auf die Probe, aber man muss zu seiner Verteidigung sagen, dass er es nicht enttäuscht. Er nimmt seine Fälle in der Regel ziemlich ernst. Besonders die Schwierigen.

 

Elfriede Demml (27) Pastoralpraktikantin im Pfarrverband Graz Liebenau, November 2014

 

Erschienen in: Die Tagespost, Dezember 2014

 

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