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HEILIGKEIT. Kein Eliteprogramm

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Als Video unter folgendem Link abrufbar:

https://www.youtube.com/watch?v=DbK-d5WepAo

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Nicht jeder ist dazu berufen, Priester zu werden. Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, Sportler zu werden. Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, den Lobpreis zu leiten! Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, eine Familie zu gründen. Stimmt!

Nicht jeder ist dazu berufen heilig zu werden. Stimmt NICHT!!! Heiligkeit ist kein Elite Programm für wenige Auserwählte. Wir alle sind zur Heiligkeit berufen. Das möchte ich euch heute anhand einer kleinen Geschichte, die ich im Sommer erlebt habe, näher bringen und schmackhaft machen.

 

 

Ein Lächeln

 

Ich sitze im Bus. Neben mir eine junge Familie. Das kleine Mädchen von etwa 3 Jahren, in einem hübschen Sommerkleidchen und mit Schleife im Haar, wird unruhig in seinem Kinderwagen. Endlich hebt der Papa sie heraus und sie darf neben der Mama auf der Bank sitzen. Plötzlich ist aller Kummer vergessen und sie schaut strahlend aus dem Fenster. Ich beobachte, wie sie winkt und halte selbst Ausschau nach dem Ziel ihrer Begeisterung. An der gegenüber liegenden Haltestelle sitzt ein sehr heruntergekommen aussehender Mann. Er starrt ins Leere. Doch endlich entdeckt er seinen kleinen Fan. Ist wirklich er gemeint?? Zögernd winkt er zurück. Die Begeisterung des kleinen Mädchens wächst und sie winkt wieder mit einem strahlenden Lächeln. Unser Bus fährt weiter, aber solange es irgendwie geht, behält sie den Mann im Blick. Nun huscht auch über sein Gesicht ein Lächeln. Wahrscheinlich das erste seit langem. Wahrscheinlich wurde er schon lange nicht mehr so liebevoll beachtet.

 

Elfriede Demml, Pastoralassistentin in Graz, 6.6.2020

 

 

Was hat diese Geschichte mit Heiligkeit zu tun? Schauen wir uns die einzelnen Szenen genauer an:

 

Das kleine Mädchen hat ein schönes Kleidchen an. Ich gehe davon aus, dass es dieses Kleidchen nicht alleine angezogen hat. Dafür ist das Mädchen noch zu klein. Die Eltern haben es so schön angezogen.

So ähnlich ist es mit unserer Taufe. Die meisten von uns wurden als Baby getauft. Wir haben nicht viel dazu beigetragen. Wir haben einfach so das Kleid Christi geschenkt bekommen, wurden von ihm schön gemacht und gehören nun zur Gottes Familie.

 

Dem Mädchen wird es zu langweilig im Kinderwagen. Es fängt an zu jammern und streckt die Hände nach dem Vater aus.

Auch uns wird es irgendwann zu langweilig in der vorbestimmten sicheren Bahn unseres Alltags. Wir können rufen: "Hey, Vater, hol mich hier raus, aus der Langeweile dieses Kinderwagens! Ich weiß, ich bin zu mehr berufen!"

 

Und der Vater holt das Mädchen aus dem Kinderwagen heraus. Das fühlt sich im ersten Moment toll an, in den starken Armen des Vaters hochgehoben zu werden. Aber dann in der Luft hängen, vielleicht sogar mit dem Gesicht weggedreht vom Vater, kann dann doch etwas unheimlich werden. Denn in dieser Phase sehen wir ihn nicht. Da bleibt nur das nackte Vertrauen, dass er hinter uns ist und dass er uns an einen guten Ort bringt. Das Beste was wir dazu beitragen können, ist stillhalten und eben vertrauen. Ich bin gehalten in den starken Händen des Vaters, auch wenn ich ihn nicht sehe. Wenn wir anfangen zu zappeln und uns zu wehren, macht das die Sache für Gott nicht einfacher. Aber auch dann wird er uns nicht fallen lassen.

 

Der Vater des kleinen Mädchens setzt es nun neben die Mama auf die Bank im Bus. So, dass es aus dem Fenster schauen kann.

Für uns Katholiken würde ich diese Szene so deuten: Der himmlische Vater setzt uns neben Maria, die Muttergottes. Unter ihrem Schutzmantel sind wir gut aufgehoben. Sie ist es, die ihrer Berufung zur Heiligkeit mit ihrem JA auf vollkommene Weise gefolgt ist. Und von ihr können wir auch unser uneingeschränktes JA zu Gott lernen.

Und von diesem Platz aus, an dem Gott uns hingestellt hat, können wir jetzt auf Entdeckungsreise gehen. Was tut sich da neben uns? Was sehen wir, wenn wir aus dem Fenster schauen?

 

Das Mädchen schaut aus dem Fenster und sieht den heruntergekommenen Mann. Es tut nicht viel. Es startet keine großen Sozialprojekte. Es macht einfach das, was in seiner Möglichkeit steht. Es winkt und lächelt ihm zu. Und diese kleine Geste verändert das Gesicht und wahrscheinlich den ganzen Tag des Mannes.

Wenn wir mit offenen Augen durch unser Leben gehen und das tun, was gerade in unserer Möglichkeit steht, wird ein Stück Himmel auf Erden spürbar, wird auch unsere Umgebung heiler und geheiligt.

 

Für mich zeigt diese Geschichte, dass Heiligkeit nichts mit großer Anstrengung und Perfektionismus zu tun hat, sondern mit ganz viel Vertrauen. Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint, auch wenn ich ihn gerade nicht wahrnehmen kann. Vertrauen, dass er einen guten Plan für mich hat, der mich in der Tiefe meines Herzens glücklich machen wird. Vertrauen, dass ich dort, wo er mich hinstellt in der Gemeinschaft der anderen Heiligen viel bewirken kann und die Welt dadurch geheiligt wird und die Gegenwart Gottes spürbar wird. Nimm den Platz ein, den er für dich vorgesehen hat. Er bleibt sonst leer.

 

Eigentlich wäre das ein perfekter Schlusssatz. Aber ich möchte trotzdem noch ein anderes Bild mit euch teilen, das etwas zum Ausdruck bringt, was bis jetzt vielleicht etwas zu kurz gekommen ist.

Heiligkeit nicht etwas ist, das wir uns beschaffen, das wir mit unseren Eigenschaften und mit unseren Fähigkeiten erlangen.

Es ist ein durchdrungen werden von Gott. Und diesen Vorgang beschreibt Johannes vom Kreuz mit dem Bild eines Holzscheits im Feuer.

Solange es beim Kamin lag, schien es ein ganz anständiges Stück Holz, gerade recht, um ein ordentliches Feuer zu entfachen! Sobald es auf die Flammen gelegt wird, beginnt es weniger vielversprechend auszusehen: es wird dunkel, fängt an zu rauchen, stinkt ein wenig, sprüht Funken und zischt! Dies ist die verwirrende Erfahrung die die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit Gott machen. Sie kommen sich schlechter vor als zuvor. Wie Johannes erklärt, ist das Feuer gerade dabei, alles auszutreiben, was es daran hindert, vom Holzscheit Besitz zu ergreifen und das ganze Holzscheit im Feuer zu verwandeln. Unser erster Gedanke ist da oft, dass unsere Schwäche und Unvollkommenheit verbrannt wird. Aber Johannes betont, dass es noch ein viel schlimmeres Übel gibt, als unsere Sünden. Eigentlich sogar zwei schlimmere Übel, die uns auf unserem Weg der Heiligkeit hindern: Das eine ist die häufig verbreitete Grundeinstellung: Ich bin ja eigentlich ein ganz guter Mensch. Ich tue niemanden was. Das mit dem dauernd beten finde ich ein bisschen übertrieben. Hauptsache man ist gut zu den Menschen um einen herum.

Ebenso schlimm wie dieses Übel ist das andere Extrem: Ich bin so schlecht, mit mir will Gott sicher nichts zu tun haben. Kann schon sein, dass es ihn gibt und dass er gut ist. Aber so jemand wie ich passt da einfach nicht dazu.

Diese beiden Übel sind es, die so zischen und fauchen, wenn das Holzscheit mit dem Feuer in Berührung kommt. Denn nur wenn sie ausgeräumt werden, können wir so wie wir sind von Gott in Besitz genommen und verwandelt werden.

In diesem Bild gesprochen ist der erste Weg zur Heiligkeit also, dass wir mit einer großen Ehrlichkeit vor Gott stehen und ihn in alle Bereiche unseres Lebens hineinlassen, so dass er uns ganz mit dem Feuer seiner Liebe durchdringen kann, auch wenn das manchmal weh tut. Und vielleicht geht es euch ähnlich wie mir. Ich denke mir immer wieder: "Ja Jesus, ich habe dir ja eh schon mein ganzes Leben gegeben. Was willst du denn noch?" Da ist es gut, den Heiligen Geist zu bitten, uns immer wieder neue Bereiche aufzuzeigen, die er noch mit seinem Feuer erobern will. Und meiner Erfahrung nach folgt er dieser Einladung sehr gerne und manchmal schneller als erwartet.

Also egal, ob du noch gemütlich in deinem Kinderwagen sitzt, oder ob du dich schon weit aus dem Fenster lehnst hin zu einem Obdachlosen. Egal, ob dein Holzscheit gerade langsam schwarz wird und stinkt und pfaucht, oder ob es lichterloh brennt. Bleib dran! Du sollst nicht Mutter Teresa werden, du sollst nicht Johannes vom Kreuz werden. Du sollst du werden in deiner ganzen Pracht, wie dich Gott erträumt hat. Denn dein Platz soll nicht leer bleiben.


Elfriede Demml (33), Pastoralreferentin in Graz, Impuls gehalten für Lorettogebetskreis Graz, 4. November 2020

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