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Wie Auferstehung

 

Es ist schon dunkel. Ich muss alleine über einen einsamen Weg fahren. Mein Elektrorollstuhl ruckelt komisch. Aber er fährt, das ist die Hauptsache. Ich komme gut zuhause an, voller Hunger und Durst. Da niemand da ist, der mir die Jacke ausziehen könnte – und es sowieso nicht schadet, wenn mal gelüftet wird – mache ich die Terrassentür auf. Jetzt aber was essen und trinken! Ich drehe mich um und fahre in Richtung Wasserkrug. Doch plötzlich bleibt mein Rollstuhl stehen. Ich schalte ihn aus und wieder ein. Nichts. Noch ein paarmal wiederhole ich den Vorgang. Nichts. Ich sehe den Wasserkrug, ich sehe den Kühlschrank. Beides nicht mal einen Meter von mir entfernt. Doch in diesem Fall unerreichbar. Zum Glück habe ich mein Handy noch auf dem Schoß, doch ich erreiche niemanden. Ein Freund hat sich angekündigt. Er wird wohl hoffentlich bald kommen. Die Zeit vergeht. Langsam wird es kalt. Die Terrassentür ist ja immer noch offen. Ich warte. Nach einer Dreiviertelstunde klingelt es an der Tür. Zum Glück habe ich eine Fernbedienung und kann die Tür öffnen. „Wo bist du denn?“ – „Hier in der Küche. Ich kann nicht kommen. Mein Rollstuhl geht nicht mehr!“ – „Mach keinen Scherz!“ – „Es ist kein Scherz!“ Die Hoffnung, dass er die Sache wieder in Ordnung bringen kann, platzt nach wenigen Minuten. Der Antrieb ist kaputt. Aber jetzt ist erst mal Wochenende und wir müssen abwarten. Zum Glück habe ich Besuch und kann mit dem normalen Schieberollstuhl herumgeschoben werden. Anfang der Woche muss dann eine Rollstuhlfirma in der Nähe gefunden werden, die meinen Rollstuhl reparieren kann. Sie müssen die Ersatzteile bestellen. Das könnte einige Tage dauern. Ich muss also alle meine Termine so regeln, dass mich jemand hin begleiten kann. Teamsitzungen werden in meine Wohnung verlegt. Bevor meine Assistentin von mir weg geht, muss ich genau überlegen was ich in den nächsten Stunden brauche, Wasser, Brotzeit, Unterlagen, Telefon, … Alles muss in meiner Nähe platziert werden, denn ich kann jetzt nicht einfach mal schnell in ein anderes Zimmer oder gar nach draußen fahren, um etwas zu erledigen. Nach einigen Tagen rufe ich bei der Firma an. Nein, die Ersatzteile sind leider immer noch nicht da. Aber es kann nicht mehr lange dauern. Nun rufe ich fast täglich bei der Firma an. Ich lebe von einem Tag auf den anderen in der Hoffnung, dass ich morgen bestimmt meinen Rollstuhl wieder bekomme. Nach drei Wochen – ich sitze gerade bei „meinen Kindern“ in der Hausaufgabenbetreuung – bekomme ich einen Anruf. Der Rollstuhl wird jetzt gebracht. Ich jauchzte. Die Kinder schauen mich erstaunt an. „Ich bekomme meinen Elektrorollstuhl wieder!“ Die Kinder freuen sich mit mir. Sie haben mitbekommen, wie sehr ich ohne diesen Rollstuhl eingesperrt war. Als dann der Elektrorollstuhl kommt, sind sie ganz aufgeregt. „Wie kommen Sie denn jetzt in den anderen Rollstuhl?“ Ich leite sie an, wie sie die Fußbretter hochklappen können und dann dürfen sie zuschauen, wie mich meine Assistentin umsetzt. Ich mache eine kleine Probefahrt. In mir stimmt sich unwillkürlich das Osterhalleluja an. Mir steigen Tränen in die Augen. Erst jetzt merke ich, wie sehr ich in den letzten Wochen eingesperrt war. Die wieder gewonnene Freiheit fühlt sich tatsächlich an wie Auferstehung. Halleluja.

 

Elfriede Demml (28), Pastoralpraktikantin im Pfarrverband Graz-Liebenau, März 2015

 

Erschienen in: Die Tagespost, 11.04.2015

 

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