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Erblickt

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In der Stiegenkirche ist mal wieder ein 48-Stunden Gebet. Mal wieder habe ich mich in die Liste eingetragen, ohne zu wissen, wie ich rauf kommen soll, um meine Gebetsstunde zu übernehmen. Kurz vorher findet sich dann doch noch eine Freundin, die mich begleiten kann. Dass sie mich nicht die zwei Stockwerke rauf tragen kann ist klar, aber immerhin kann sie den Beter, der vor mir dran ist holen und auch sonst mithelfen. Das ist schon mal beruhigend. Als sie dann gerade dabei ist, mir die Holzrampe hinzulegen, die mir mein Papa extra maßgeschneidert gebaut hat, damit ich mit meinem E-Rollstuhl zumindest über die ersten paar Stufen hineinfahren kann und er nicht ganz ungeschützt auf der Straße stehen muss, kommt ein junger Bursche daher. Er schiebt sein Fahrrad über die steile Sporgasse herauf geradewegs auf uns zu. „Braucht ihr Hilfe?“ Wir beide wie aus einem Munde: „Ja, gerne!“ So hält er meinen Rollstuhl fest, während ich über die Rampe fahre. Drinnen angekommen sieht er allerdings mit Schrecken, dass das noch lange nicht das Ziel war, sondern dass jede Menge Stufen vor uns sind. „Wie geht das jetzt weiter?“ – „Es gibt verschiedene Varianten. Entweder man nimmt mich huckepack, oder wie eine Braut“, erzähle ich ihm lachend. Ich nehme die Brautversion“, sagt er und nimmt mich ohne zu zögern aus dem Rollstuhl. Das wiederum erstaunt mich. Aber wie ich erfahre, hat er Zivildienst beim Roten Kreuz gemacht und deswegen keinerlei Berührungsängste. Oben in der Kirche angekommen setzt er mich in die erste Bank vor das ausgesetzte Allerheiligste, meint, er hätte jetzt wohl seinen Sport für heute erledigt und verabschiedet sich freundlich. Im Hinausgehen dreht sich noch einmal und wirft einen kurzen Blick auf den Herrn Jesus. Ich bete ganz fest, dass er ihn WIRKLICH erblickt und dass er merkt dass auch Jesus ihn erblickt. Es muss ja nicht sofort sein. Vielleicht kommt ihm am Abend beim Einschlafen dieser Blick wieder in den Sinn, vielleicht am nächsten Tag bei irgendeiner Situation. Vielleicht immer wieder, sodass in ihm die Sehnsucht wächst unter diesen Blick zu leben.

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Elfriede Demml (29), Pastoralassistentin im Pfarrverband Graz-Christkönig/Hl. Schutzengel, 9.4.2017

Erschienen in: Ausseerland Pfarrblatt, Mai/Juni 2017

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