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Weichen und Türen – ein Reisetagebuch

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12:02h am Münchner Ostbahnhof, Bahnsteig 6: Bis jetzt hat alles super geklappt und wir sind rechtzeitig mit der S-Bahn hier angekommen. Am Reisezentrum wollen wir uns mit dem Mobilitätsservice Team treffen, das mir mit dem Rollstuhl beim Einsteigen in den nächsten Zug hilft. Doch halt, der Aufzug am Bahnsteig ist kaputt. Was jetzt? Meine Freundin läuft die Treppen hinunter und meldet das Problem. Die Dame vom Mobilitätsservice kommt und telefoniert mit dem Fahrdienstleiter. Ich bete inständig: "Heiliger Geist, öffne deinen Kindern die Tore!" Da kommt die frohe Botschaft: Der Zug wird umgeleitet und fährt auf unserem Bahnsteig ein. Extra für uns!

12:27h: Noch ganz berauscht von dem Glück, das uns gerade widerfahren ist, steigen wir mit Hilfe des Hebeliftes in den Zug ein. Und da merken wir, dass wir zwar im richtigen Waggon sind, aber bei der falschen Tür hinein gelassen wurden. Wir befinden uns im Fahrrad- und Gepäckabteil und kommen da auch nicht mehr raus, weil die Gänge zu eng sind für meinen Elektrorollstuhl.

Für die nächsten eineinhalb Stunden nach Salzburg macht es sich meine Freundin so gut es die Umstände erlauben mit einer Decke und einer Jacke gemütlich am Boden. Und wir schauen aus dem mit Gitterstäben gesicherten Fenster.

14:00h: Der nächste Umstieg klappt reibungslos. Und wo landen wir diesmal? Der Rollstuhl Stellplatz befindet sich in der ersten Klasse. Wir können nur noch lachen über unseren sozialen Auf- und Abstieg.

16:05h Bahnsteig in Attnang-Puchheim: Auf der Tür des Waggons, mit integrierter Rampe klebt ein großes Schild "Tür defekt". Was nun? Ratlos stehen die Männer, die uns helfen davor, bis einer beherzt das Schild herunter reißt und den Türknopf betätigt. Als wäre nie etwas geschehen öffnet sich die Tür. So wäre auch das letzte Hindernis auf unserer abenteuerlichen Reise überwunden und wir kommen gut zu Hause an.

Als Königskinder des Herrn wurde uns zwar nicht versprochen, dass wir immer eine noble und angenehme Umgebung haben, aber wir dürfen darauf vertrauen, dass Hindernisse für ihn kein Problem sind. Er bereitet uns die Wege, stellt Weichen um, öffnet verschlossene Türen. Ganz real.


Elfriede Demml (33), Pastoralassistentin in Graz, 26.07.2020
Erschienen in
: Die Tagespost, 20. August 2020

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